Bringt uns der 70. Deutsche Juristentag Hannover 2014 die Integration der frauenfeindlichen und demokratiefeindlichen Schariagesetze?
Von Sozialpädagogin Gabi Schmidt am 16.09.2014
Vom 16.09. bis 19.09.2014 debattiert in Hannover der 70. Deutsche Juristentag unter anderem über das Thema Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft.
Auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. Tatjana Hörnle (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Humboldt-Universität zu Berlin) verhandeln voraussichtlich mehr als 3000 Richter, Rechtswissenschaftler und Rechtsanwälte ob und wie das Strafrecht an die kulturelle und religiöse Vielfalt der in der BRD lebenden Bevölkerung angepasst werden muss und welche möglichen Gesetzesänderungen der Bundesregierung am Ende der Tagung zu empfehlen sind.
Beschließen die Teilnehmer der Konferenz die vorab veröffentlichte Expertise von Dr. Hörnle und das im Internet nachzulesende Thesenpapier zu den Stellungnahmen weiterer Juristen (u. a. Dr. Schluckebier, Richter am BVerfG, Dr. Radtke, Richter am BGH) tatsächlich unverändert der Regierungskoalition vorzulegen und setzt diese die Vorschläge in Gesetzesinitiativen um, werden alle Bemühungen um Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frau und Mann sowie um gleichberechtigte Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern mit Zuwanderungsgeschichte einen Rückschlag erleiden.
• Es sei zu überlegen, ob die Einheit der Rechtsordnung in angeblich auseinanderstrebenden Gesellschaften noch zeitgemäß ist.
• Rechtfertigender Gewissensnotstand, rechtfertigender Religionsnotstand (§ 34 StGB in Verbindung mit Art. 4 GG) als Strafmilderungsgrund. Ein solcher Rechtfertigungsgrund setzt nach dem Prinzip der Systemkohärenz allerdings voraus, dass die Tat ein angemessenes Mittel gewesen ist, die Gefahr (z. B. Ehrverlust) abzuwenden. Gibt es ein solches Delikt überhaupt oder soll auf die Widerspruchsfreiheit von Gesetzen verzichtet werden?
• Die Forderung, dass Strafrichter bei typischen Kulturkonflikten die Täter- und die Opferseite gleichermaßen würdigen (Otfried Höffe) würde nicht weiterführen. Ein nicht weiter spezifiziertes Ausbalancieren von Interessen nehme zu wenig Rücksicht auf die Strukturen strafrechtlicher Werteurteile.
• Auch bräuchten Richter kein ethnologisches Hintergrundwissen. Sie hätten sich einzig darauf zu konzentrieren, unrechts- und schuldprägende Umstände zu erfassen. Wie soll dann aber beurteilt werden können, ob tatsächlich rechtfertigende Gewissensnotstände oder rechtfertigende Religionsnotstände vorliegen?
• Im ersten Schritt der Verhältnismäßigkeitsprüfung befasse sich das BVerfG mit der Identifizierung eines Schutzzwecks. Dem kann ich nicht zustimmen. Vielmehr stellt sich die verfassungsrechtliche Frage ob das Gesetz einen legitimen Zweck erfüllt.
• Aus der Perspektive des Verfassungsrechts sei Gesetzgebung nicht an einen Katalog überpositiver Rechtsgüter gebunden.
• Sind elementare Werte des Gemeinschaftslebens noch schützenswert oder müssen Strafnormen nur noch dem Schutz anderer und der Allgemeinheit genügen?
• Es bleibe die Frage, ob § 166 StGB Individualrechte schützt.
• Wenn sich aus den Aussagen des Täters, seiner kulturellen oder religiösen Biographie und Persönlichkeitsstruktur schwerwiegende Gewissensnöte ableiten lassen, die ihn daran gehindert haben sich nach der hiesigen Gesetzeslage und Werteordnung zu richten und von der Tat abzulassen, könnten diese für ihn unlösbaren Normkonflikte als Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe herangezogen werden, die dann zu einer Minderung der Schuld und damit zu geringerer Strafe führen (§ 34 StGB in Verbindung mit Art. 4 GG).
• Könne dem Opfer aus der Sicht der Rechtsgemeinschaft [ ! ] ein Mitverschulden zugeschrieben werden und liegt eine Tat mit kulturellen oder religiösen Beweggründen vor, solle dem Täter ebenfalls Strafnachlass gewährt werden können
Welche Rechtsgemeinschaft ist gemeint? Eine Religionsgemeinschaft kann auch eine Rechtsgemeinschaft mit eigenen Normen sein].
• Im Zusammenhang mit § 237 StGB (Zwangsverheiratung) sei § 5 StGB (Auslandsstraftaten gegen inländische Rechtsgüter) folgendermaßen zu ergänzen: Opfer einer Zwangsheirat ist eine Person, die zur Zeit der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
• § 226a StGB
FGM Typ Ia und IV (WHO) sind nicht mehr strafbar, weil diese angeblich milderen Formen nicht als Verstümmelung anzusehen seien. Die MGM bleibe legal, wenn es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, die für ein Verbot sprechen.
• Paralleljustiz
Schiedsgerichte könnten zugelassen werden und nach religiösem Recht Konflikte schlichten sowie in familienrechtlichen Angelegenheiten entscheiden. Sogar der Strafgerichtsbarkeit überantwortete Delikte könnten durch sakraljuristisch ausgebildete Richter geprüft und entschieden werden.
Folgen
• Einheit der Rechtsordnung
Abkehr von Rechtsstaat, Verfassung und freiheitlich demokratischer Grundordnung, Abschottung in einer Parallelgesellschaft, Rechtsspaltung.
• Religiöse Schiedsgerichte / religiöse Familiengerichte / religiöse Strafgerichte
Ungleichbehandlung vor Gericht. Während die Deutschen ohne Zuwanderungshintergrund vorerst weiterhin diejenigen im Grundgesetz verankerten Schutz-, Freiheits- und Gleichheitsrechte behalten, die mit religiösen / kulturellen Normen und Gepflogenheiten der Parallelgesellschaft(en) nicht im Widerspruch stehen, haben Bürger mit Zuwanderungsgeschichte ihren gesamten Alltag nach dem theokratischen Gesetz und der Wohlverhaltensdoktrin ihrer Religionsgemeinschaft / ihrer Herkunftskultur zu orientieren. Staatliche Gerichte sind dann haram und deren Schiedsleute, Anwälte und Richter werden nicht mehr ernst genommen.
Nachbarschaftskonflikte schlichtet dann ein religionsjuristisch ausgebildeter Friedensrichter, der auch über familienrechtliche Angelegenheiten und Unterhaltsfragen entscheidet, Straftäter werden von höchst anerkannten Religionsgelehrten mit einem langjährigen, mehrere Rechtsgebiete umfassenden Studium verurteilt. Beide leiten ihre Richtersprüche von göttlichen Befehlen und heiligen Schriften ab. In einer Theokratie, in der die Staatsgewalt ausschließlich religiös legitimiert wird, werden Verbrechen mit Körperstrafen gesühnt, auf Apostasie, Homosexualität oder Ehebruch steht in einigen dieser Länder die Todesstrafe durch Erhängen oder die Steinigung.
Von einer solchen Paralleljustiz am stärksten benachteiligt sind vor allem Frauen, offen nicht religiös praktizierende Menschen, Bürger die die sich in ihrer selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung und Sexualität erkennbar nicht eingrenzen lassen wollen sowie politische Gegner. Fast alle Religionen bauen nämlich auf erzkonservativen, patriarchalischen Fundamenten, möglichst authentisch nachzuahmenden charismatischen Führern und traditionellen Familienmodellen auf, die zur Heilssicherung absoluten Gehorsam einfordern. Die starke Einschränkung von Freiheits-, Schutz- und Gleichheitsrechten, der Verzicht auf individuelle Bedürfnisse sowie die fehlende Trennung der Einflussbereiche von Staat und Religion und vor allem Recht und Religion ist der Preis für die dann versprochene, allerdings prekär bleibende Seelenrettung.
• Gewissensfreiheit
des Einzelnen? Kultur und Religion als die Strafe verringernder Entschuldigungsgrund.
Kultureller / religiöser Rabatt bei der Verurteilung wird die Abschreckungswirkung des Strafrechts verringern. Migranten aus gottesfürchtigen, tief mit der Herkunftskultur verwurzelten Familien werden noch leichter letzte Bedenken, die sie an der Ausführung der Tat hindern, beiseiteschieben, da die Straftat schnell verbüßt ist und Sippe und Community ihnen viel Ehre, Respekt und Achtung entgegenbringen werden. Es ist zu befürchten, dass die Anzahl derart motivierter Straftaten ansteigen wird.
Die frauen-, gleichheits- und integrationspolitischen Bemühungen um die volle Teilhabe jedes in der BRD lebenden Menschen am Grundgesetz (1949) und seiner säkularen, freiheitlich demokratischen Rechts- und Werteordnung werden nun erst recht ins Leere laufen.
Wenn renommierte Juristen wie Dr. Hörnle, Dr. Schluckebier (Richter am Bundesverfassungsgericht) und Dr. Radtke (Richter am Bundesgerichtshof) ohne Rücksicht auf die der AEMR (Paris, 1948) entlehnte Verfassung Recht weiterentwickeln, dabei derart leichtfertig und illoyal mit Rechtsstaatsprinzipien und Verfassungsgarantien umgehen und die Einheit der Rechtsordnung für verhandelbar halten, interessiert es einen Richter dann noch, ob die Tat im eklatanten Widerspruch zu GG und fdGO steht und deshalb eine mildere Bestrafung auszuschließen ist?
Rechtsanwälten, die ja den Täter bestmöglich zu verteidigen haben, wird es nicht an der nötigen “juristischen Phantasie” (de Maizière) fehlen, um ìn ihrem Plädoyer auf “rechtfertigende Gewissensnotstände und rechtfertigende Religionsnotstände” (Art. 34 StGB in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) hinzuweisen. Der Täter, von einer Täterin ist bisher selten auszugehen, darf mit einem Nachlass bei der Bestrafung fast sicher rechnen, denn es ist zeitsparend, einfach und kostensparend, wenn Richter Verständnis dafür aufbringen, dass der streng religiös sozialisierte Angeklagte als frommer Mann nicht europäischer Herkunft gar nicht anders handeln konnte. An die verzweifelten Opfer, wenn sie denn noch leben oder deren hinterbliebene Familie wird schon keiner denken. Wenn diese aus dem gleichen Kulturkreis kommen oder sich zum gleichen Glauben bekennen, darf sie ein mildes Urteil sowieso nicht überraschen.
• Mitschuld des Opfers. Auf welche Rechtsgemeinschaft bezieht sich Hörnle im Zusammenhang mit der Mitschuld des Opfers? Als Dozentin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung muss Hörnle von der renommierten HU zu Berlin wissen, dass der Fachterminus Rechtsgemeinschaft unklar und mehrdeutig ist, zumal nach ihrer Ansicht zu erwägen ist, ob „die Einheit der Rechtsordnung einen zu bewahrenden Eigenwert” hat. Eine Religionsgemeinschaft ist nämlich auch eine Rechtsgemeinschaft, zumal wenn sie Schieds- und Strafgerichte unterhält und theologisch-juristisch ausgebildete Friedens- und Strafrichter Konflikte schlichten, im Bereich des Familienrechts Urteile fällen oder Strafen verhängen.
Interpretiert man Hörnles Aussage entsprechend, ergibt sich folgender Sinn
Kann einem Opfer aus Sicht der Religionsgemeinschaft ein Mitverschulden angelastet werden, verringert sein Fehlverhalten die Schuld des Verbrechers, er ist milder zu bestrafen.
Dürfen Frauen nun keinen Minirock mehr tragen, weil aus Sicht der Rechts- und Glaubensgemeinschaft aufreizende Kleidung unmoralisch ist und Männer dazu provoziert, zu beleidigen, sexuell zu belästigen oder verachtenswertere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu begehen? Eine solche Einstellung diskriminiert sowohl Frauen als auch Männer und ist antiquiert.
• Nötigung zur Eheschließung.
Um Zwangsheiraten (§ 237 StGB) zu erschweren, ist nach bisheriger Rechtslage die Verschleppung ins Ausland zwecks Nötigung zur Ehe grundsätzlich strafbar. Als Auslandsstraftat gegen inländische Rechtsgüter wird die gegen den inneren Willen der Brautleute gewaltsam durchgesetzte Eheschließung jedoch nur dann behandelt, wenn das Opfer seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in der BRD hat. Warum fordert die Strafrechtlerin nicht ein eigenständiges, eheunabhängiges Aufenthaltsrecht oder zumindest eine Härtefallklausel in den Fällen, in denen eine Weiterführung der Ehe entwürdigend und unzumutbar ist?
• FGM Typ Ia und IV
Es ist zu begrüßen, dass FGM in die Liste der auch im Ausland zu verfolgenden Straftaten aufgenommen werden soll. Auch eine Verschärfung des Strafmaßes der wegen der besonders beeinträchtigenden und gesundheitsschädlichen Folgen der WHO-Kategorien Ib, II und III an § 226 StGB ist plausibel. Außerdem schlägt die Gutachterin vor, die sehr seltenen, schweren Formen der MGM (wird nur noch bei den Dowayo in Kamerun praktiziert, Tendenz rückläufig) unter den dann geschlechtsneutral zu formulierenden § 226a StGB zu subsumieren und diese folgenschweren Mutilationen mit einer längeren Gefängnisstrafe zu ahnden.
Diese Angleichung erweckt wenigstens auf den ersten Blick den Anschein, die Berliner Professorin sei Gleichheitsfeministin und darum bemüht, die durch § 1631d BGB erfolgte verfassungswidrige Benachteiligung von Jungen aufzuheben. Hörnle beschränkt den Schutz der körperlichen Unversehrtheit allerdings auf derart folgenschwere Formen der MGM, wie sie nur noch bei den Dowayo in Kamerun praktiziert werden (Tendenz rückläufig). Die Amputation der Penisvorhaut, wie sie noch heute überall auf der Welt praktiziert wird, hält die auch auf dem Fachgebiet der Rechtsphilosophie versierte juristische Autorität für gerechtfertigt, wenn bei der irreversiblen, tiefgreifenden Operation medizinische Qualitätsstandards zu Hygiene und Schmerzfreiheit eingehalten werden und der Eingriff als “tragende Säule ihres am Kindeswohl orientierten religiösen Erziehungskonzepts” als verpflichtend interpretiert wird. Das Gesetz, dass Eltern erlaubt bei ihren nicht urteilsfähigen und nicht einsichtsfähigen Söhnen ohne pathologischen Befund den Penis zu verstümmeln, steht nach Hörnle dementsprechend nicht im Widerspruch zur Verfassung. Der Staat verstoße nicht gegen das ihm übertragene Wächteramt, wenn er Eltern dazu ermächtigt aufgrund ihres Sorge- und Erziehungsrechts in die Grund- und Kinderrechte ihrer Jungen einzugreifen.
Führt man die Argumentation der Rechtsexpertin in der eingeschlagenen Richtung logisch zu Ende, welche die Dozentin zwar nicht explizit zu Papier bringt, aber sehr deutlich ansteuert, will Hörnle die der angeblich milderen FGM gleichzusetzende Jungenzirkumzision in den Abs. 2 des selben § 226a StGB transferieren. Dies würde allerdings zur verfassungswidrigen Inkohärenz des Gesetzes führen, da in der Begründung zum Gesetzestext mit einem kosmetischen Eingriff vergleichbare angeblich harmlosere Ausmaße der Verletzung weiblicher Genitalien (gemeint sind wohl Typ Ia und IV der WHO-Kategorisierung) als minderschweres Verbrechen geahndet werden, während die rituelle Entfernung der männlichen Vorhaut als Kindeswohl sichernde religiöse Erziehung bewertet würde. Wer wie Hörnle die Jungenzirkumzision als gerechtfertigt verteidigt und deshalb straffrei stellt, muss aus formaljuristischen Gründen eine mit der MGM (angeblich) gleichzusetzende FGM legalisieren.
• Streichung des Tatbestandsmerkmals öffentlicher Friede
Gegen einen solchen Vorschlag spricht, dass die Sicherung des inneren Friedens ein Staatsziel zum Schutz verfassungsrechtlicher Gemeinschaftsgüter darstellt und man sich sehr gut überlegen sollte, ob man auf diese Staatsaufgabe ohne weiteres verzichtet.
• Hassverbrechen
Auch eine steigende Anzahl von Hassverbrechen entbindet nicht von der Verpflichtung zu Art. 3 Abs. 3 GG. Eine Ungleichbehandlung vor Gericht aufgrund von Religion oder Ethnie darf es nicht geben.
• Schutz von Gruppenidentität
Die BRD ist nicht in Religionsvölker oder Kulturkollektive aufzuspalten. AEMR und GG richten sich zu allererst an das Individuum, den Bürgerin, den Bürger. Ethnisieren und Kulturalisieren zu Forschungszwecken und Kriminalprävention muss erlaubt sein. In den Grenzen der Verfassung sind Freie Presse und Meinungsfreiheit zu gewährleisten.
Die unantastbare Menschenwürde ausgenommen, gibt es keine uneinschränkbaren Grundrechte. Dieser Grundsatz gilt auch für die Religionsfreiheit, welche die Rechte Dritter nicht einzuschränken hat.
Gabi Schmidt, Sozialpädagogin
Edward von Roy, Diplom-Sozialpädagoge (FH)
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